Slipchain Economy und Integrale Ökonomie

Hans-Florian Hoyer

Ökonomie könnte man wie folgt definieren:

Koordinierte Tätigkeiten in einer Gemeinschaft zur Befriedigung von absehbar wiederkehrenden Bedürfnissen aller Mitglieder zum Erhalt des eigenen Lebens. Darüber hinaus zu Bequemlichkeit und Komfort.

Seit 300.000 Jahren lebte der Homo Sapiens lange Zeit in staatenlosen Horden, Gemeinschaften, in der Natur, von der Natur, trotz der Gefahren darin, u.a. ausgehend von den Artgenossen. Soziologie, Ökonomie und Ökologie waren eins. Was konnte wann und wo aus den Geschenken der Natur für alle ihre Lebewesen entnommen, zubereitet und geteilt werden, um Bedürfnisse zu befriedigen? Jede/r Zugehörige zur Gemeinschaft trug nach seinen oder ihren Fähigkeiten und Kräften dazu bei und hatte das Recht zur Teilhabe. Geld als Instrument der Distribution war nicht nötig, so wie dies auch heute noch in einer Familie der Fall ist.

Wann und warum sind Ökonomie und Ökologie zu Gegensätzen geworden? Erfüllt die Ökonomie ihre oben genannten Aufgaben gut?

Mit der zunehmenden Differenzierung der Fähigkeiten und dem damit verbundenen Spektrum an Gütern und Diensten bei gleichbleibendem Etat von Zeit (24h/Tag) konnte eine Gemeinschaft nicht mehr alle wünschenswerten Güter für den Eigenbedarf herstellen. Die Arbeitsteilung brachte Tätigkeiten für den Bedarf Gruppenfremder hervor, zunächst in Form von Tausch. Der Anteil an Tätigkeit für den Eigenbedarf der Lebensgemeinschaft wurde immer weniger und betrug letztlich Null in dem Moment, wo nicht mehr jeder ein Stückchen Land haben konnte. Eine neue Klasse entstand, das Proletariat, das gezwungen war, seine Dienste für die Bedürfnisse anderer anzubieten, um zu Geld – dem Distributionsmittel der Arbeitsteilung – zu kommen.

Wir sind heute alle fremdversorgte Fremdversorger, die glauben, Selbstversorger in Geld zu sein, nicht fremdversorgt. Die Vorstellung, vor leeren Regalen mit vollem Portemonnaie zu stehen, bringt uns nicht davon ab. Die leichte Einsicht, dass auch der modernste Fischtrawler nichts aus einem leergefischten Ozean zurückbringt, macht uns nicht unbedingt klar, dass es Geschenke des Planeten Erde an seine Lebewesen (nicht nur uns) sind, von denen wir leben.

Das erste Mittel zum Ausgleich von Versorgungsüberschüssen dort durch Überschüsse hier ist der direkte Tausch von Gütern, die für den Konsum bestimmt waren.  Die Ausweitung der Tauschmöglichkeiten durch geeignete Zwischenwaren, die zwar konsumierbar waren, aber nur zum Weitertauschen eingetauscht wurden führte letztlich zu einer Zwischenware, die selbst nicht mehr konsumierbar war.

Geld als Metallgeld mit Materialwert wurde aus dem Umlauf verdrängt durch wertlose Stellvertreter aus Papier. Parallel setzte sich das Umschreiben und Rechnen gegenüber dem Zählen und Übergeben immer mehr durch. Das ermöglichte das gegenseitige Verrechnen der Forderungen, was wiederum das Eintragen von Zahlen in Bücher ermöglichte, die keine Depositen als Materialdeckung mehr hatten, sondern nur noch eine zukünftige Forderungsmöglichkeit/Verbindlichkeit. Die Tausch-/Geldwirtschaft wurde zur Kreditwirtschaft, in der mit der Liquidität privater Banken gezahlt wurde, die entsprechende Zahlen in ihren Büchern erzeugen konnten.

Die Zettelwirtschaft (Slipchain Economy) stellt den Versuch dar, ein Protokoll zu beschreiben, mit dem in Gemeinschaften der Vorgang der Zahlung von untereinander bestehenden Verbindlichkeiten auch ohne Banken durchgeführt werden kann, und zwar an einem wiederkehrenden Abrechnungstermin und auf der Grundlage der Liquidität der Mitglieder. Durch die Verbriefung der Einträge in die jeweiligen Bücher wird dabei zudem ein Tausch-Zahlungsmittel (Zettel) für den Umlauf geschaffen, das bis zur jeweiligen Endabrechnung Gültigkeit hat.

Zettelwirtschaft

Das Protokoll ist so einfach, dass es Gemeinschaften auf unterschiedlichste Weise in gemeinsamer Absprache für sich implementieren und immer weiter anpassen können. Es kann parallel zur herrschenden Geldordnung eingesetzt werden, da es die Pflicht zur Führung von Büchern und Zahlung von Steuern nicht berührt. Insofern es lediglich Informationen (über Guthaben und Verbindlichkeiten) verarbeitet mit dem Ziel, sich den unnötigen Einsatz von Währung zu sparen, braucht es dazu keine behördliche Erlaubnis.

Die Ermittlung des minimal erforderlichen Währungsbetrags zur Abgeltung aller in der jeweiligen Abrechnungsperiode anfallenden (offen gelassenen) Zahlungen ist ein transparenter trivialer mathematischer Vorgang. Wie mit den Ausgleichverbindlichkeiten und -forderungen umgegangen wird, kann die Gemeinschaft selbst gestalten. Auch zur Vermeidung und Aufklärung von Differenzen können Maßnahmen getroffen werden.

Insgesamt beruht das Protokoll auf dem bilateralen Vertrauen, das sich im Offenlassen der Zahlung ausdrückt und im Vertrauen darauf, dass die Gemeinschaft den Ausgleich am Ende der Abrechnungsperiode garantiert. Es gibt also Lösungen, die keinen Finanzdienstleister erfordern.

(Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung des Impulsvortrags aus dem IFIS-Online-Kolloquium Nr. 56 vom 18. Januar 2023.)